Es gibt Unterschiede zwischen Ost und West, aber sie sind viel geringer als angenommen. Das könnte das erste Fazit nach dem Kennenlernen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer beim Bürgerdialog in Flensburg sein. „Wir haben natürlich sprachliche Unterschiede, aber die sind doch eher regional. Es war richtig, die beiden deutschen Staaten zusammenzuführen. Wir sind eins geworden“, sagte Carola Lehr aus Neubrandenburg zum Thema Voneinander lernen.
Voneinander lernen war neben Anerkennung, Umgang mit Herausforderungen und Gutes Leben für alle überall eines von vier Themen zur übergeordneten Frage „Wie wollen wir miteinander leben?“ Darüber diskutierten rund 120 Bürgerinnen und Bürger aus den Partnerstädten Flensburg und Neubrandenburg.
„Das ist ein schönes Format für ein direktes Gespräch. Wir haben uns sofort in der Runde geduzt und sind in kurzer Zeit in die vielen Biografien eingetaucht“, so die Oberbürgermeisterin von Flensburg Simone Lange, die sich den Tag Zeit genommen hatte, um an allen Diskussionsrunden teilzunehmen.
Anerkennung motiviert
Anerkennung: Wenn man sie erhält, ist es schön, aber sie kann auch fehlen. „Was ich tue, kehrt auch in mein eigenes Herz zurück“, sagte eine Teilnehmerin. Die berufliche, auf Leistung basierende Anerkennung nannten die Gruppen zuerst. Auch die Anerkennung durch die Familie. Sehr wichtig fanden die Diskutanten die gesellschaftliche Anerkennung durch ein Ehrenamt, eine Vereinsarbeit oder für soziale und pflegende Berufe. „Doch wie ist es, wenn die Lebensleistung nicht anerkannt wird? Oder wie sollen wir Arbeitslosen Anerkennung entgegenbringen?“ Das waren nur zwei Fragen, die in den Gruppen intensiv diskutiert wurden.
Voneinander lernen
„Auf Augenhöhe zuhören und miteinander reden, für die Menschen und die Welt offen sein - so können wir voneinander lernen. Differenzieren und die Erfahrungen oder das Gesagte unseres Gegenübers nicht unreflektiert weitergeben“, das waren erste Ergebnisse aus den Diskussionsrunden.
„Und wie ist das mit den Medien? Müssen die Medien nicht vielleicht auch lernen, anders zu berichten? Das Trennende klein und das Verbindende groß darzustellen?“ Darüber hinaus sei eine ausgewogene Berichterstattung über alte und neue Bundesländer auf Augenhöhe ein wichtiges Element für ein gutes Miteinander, lautete ein Resümee.
Umgang mit Herausforderungen
Die Fluchtbewegungen von 1945, 1989, 2015 und mögliche bevorstehende sahen die Teilnehmenden als Herausforderung und weniger als ost- oder westspezifische Probleme. Bei allen Fluchtbewegungen erkannten sie die gleichen Phänomene: Zuerst ein herzliches Willkommen, dann kommen Angst und Neid auf. Doch profitiere die Gesellschaft in jeder Phase; die Wirtschaft floriert, Handwerker bekommen neue Anstellungen, Häuser werden gebaut.
Als weitere große Herausforderung sahen die Gruppen die Bekämpfung des Rechtsradikalismus, der für viele eine große Gefahr für das friedvolle Zusammenleben in Deutschland ist.
Die Dialogveranstaltung in Flensburg in Bildern
Fazit: „Es war toll. Macht weiter!“
Alle Teilnehmenden waren sich am Schluss der Veranstaltung einig: Diese Gespräche waren schon lange überfällig und sollten regelmäßig fortgesetzt werden. „Ich bin sehr glücklich, dass der Dialog aufgenommen wurde. Das ist in der heutigen Zeit wichtig, vor allem denjenigen gegenüber, die versuchen, unsere Gesellschaft zu spalten“, so Hannes Fuhrig, Stadtpräsident von Flensburg. Und sein Amtskollege aus Neubrandenburg, Dieter Stegemann, fügte hinzu, dass „die breite Vielfalt in der Diskussion gut ist. Das wünsche ich mir. Es wird nicht gehen, dass wir die Bürgerinnen und Bürger zukünftig nicht mitnehmen.“
Schülerreporterinnen und Schülerreporter aus Flensburg und Neubrandenburg begleiteten die Dialogveranstaltung und produzierten eine Reportage. Sie sprachen mit Teilnehmenden des Dialogs und Flensburgerinnen und Flensburgern über die Deutsche Einheit: Ist die Einheit ein fertiges Produkt – oder doch eher eine Dauerbaustelle? Und was hat die Einheit den Menschen bedeutet?
Die nächste Begegnungs- und Dialogveranstaltung fand vom 28. Februar bis 1. März 2020 in Rostock mit Gästen aus Bremen statt.
Fotos: Karsten Thielker