Die Herstellung der Deutschen Einheit wäre ohne die Zwei-plus-Vier-Verhandlungen nicht möglich gewesen, und ohne sie wäre Deutschland womöglich heute kein souveräner Staat. Zugleich war die Überwindung der Jalta-Nachkriegsordnung die Voraussetzung für das neue Europa. Die Kommission „30 Jahre Friedliche Revolution und Deutsche Einheit“ hat deshalb anlässlich des 30. Jubiläums des Zwei-plus-Vier-Vertrags am 12. September 2020 den internationalen Kontext der Deutschen Einheit thematisiert. Gleichzeitig sollte diskutiert werden, vor welchen Herausforderungen Europa heute steht.
Kernelement des Meilensteins 12. September waren drei Paneldiskussionen, die rund um den Jahrestag des Zwei-plus-Vier-Vertrags in Berlin aufgezeichnet und von den Fernsehsendern phoenix, ARD-alpha und Deutsche Welle jeweils ausgestrahlt wurden. Im Historischen Saal der Bundesakademie für Sicherheitspolitik, dem Weltsaal im Auswärtigen Amt sowie im Bundespresseamt trafen Persönlichkeiten aus Politik, Diplomatie, Wissenschaft und Gesellschaft zusammen. Sie diskutierten über den historischen Kontext des Vertragswerks, dessen Auswirkungen auf den Europäischen Integrationsprozess sowie über die zentrale Frage, wie sich die besondere Bedeutung der damaligen Ereignisse auch für kommende Generationen anschaulich und nachhaltig vermitteln ließe.
Inhaltlich angereichert wurden die Paneldiskussionen durch Stellungnahmen von jungen Menschen aus Europa, Russland und den USA zum Zwei-plus-Vier-Vertrag.
„Wie erinnert Ihr in Deinem Land an den Fall des Eisernen Vorhangs, und welche Bedeutung wird diesem historischen Ereignis in der nationalen Erinnerungsarbeit bei Euch beigemessen? Wie siehst Du die heutige Rolle Deutschlands in Europa und in der Weltpolitik? Was wünschst Du Dir von Deutschland? Was erwartest Du von der EU, den USA und Russland, um aktuelle Herausforderungen anzupacken?“ – Mit diesen Fragen richtete sich ein internationaler Aufruf an junge Menschen unter 35 Jahren, um die Perspektiven der jüngeren Generation zu dem wichtigen Vertragswerk und seinen Auswirkungen auf Politik und Gesellschaft einzuholen. Bis zum 10. August konnten Meinungen und Impulse eingesandt werden.
Hier eine Auswahl:
„Der Fall des Eisernen Vorhangs ist in meinem Land eng mit dem Fall der UdSSR verknüpft, der ein Meilenstein für die Unabhängigkeit der Slowakei war. Die Meinungen zum Sturz des Regimes sind jedoch geteilt. Manche sind glücklich über die Reise-, Wirtschafts- oder Meinungsfreiheit, andere hingegen sind wütend über die Verwüstung, die er in unserer Industrie, Landschaft und Souveränität angerichtet hat. Deutschland hat in Europa immer eine große Rolle gespielt und das ist auch heute der Fall. Leider treibt das Schuldgefühl der Deutschen angesichts vergangener Taten ihre Kultur und ihren Stolz in den multikulturellen Abgrund und den Rest Europas gleich mit. Das heutige Deutschland ist ein sehr schlechtes Vorbild für europäische Länder, die dem Bild westlicher Länder folgen wollen. Die jüngsten Ereignisse zeigen uns, dass dieser Weg nicht dazu angetan ist, unsere einzigartige Kultur und Identität zu bewahren. Bevor die USA, Deutschland und Russland gemeinsam agieren können, müssen die USA zunächst ihre Desinformations- und Aggressionspolitik gegenüber Russland ändern.“
„Ich wurde keine 400 Tage vor dem Fall der Mauer in der DDR geboren und habe in meiner Jugend in den frühen 2000ern hautnah miterlebt, wie in Leipzig nach und nach eine ganze Stadt neu gebaut wurde und neu erblüht ist. Ich habe in der Schweiz und in den Niederlanden studiert und lebe und arbeite jetzt mit meiner polnischen Verlobten in Barcelona. Es ist nicht zu viel gesagt, dass fast jeder Aspekt und jede Entscheidung in meinem Leben durch die deutsche Einigung ermöglicht wurde. Ich gedenke ihr jeden Tag und in jeder Interaktion mit meinen Mitmenschen, weil ohne sie nichts davon möglich gewesen wäre. Ich bin, wie viele in meiner Generation, zuallererst ein Europäer, und es ist Deutschlands historische Aufgabe, nach der deutschen auch die europäische Einigung voranzutreiben. Erst seit ich nicht mehr in Deutschland wohne, verstehe ich, wie sehr die Augen Europas auf das Land gerichtet sind, und so lange es noch keine europäische Nation gibt, ist es die Aufgabe Deutschlands, nicht nur für deutsche Bürger, sondern für alle Europäer, für ihre Freiheit, Sicherheit und Gesundheit, einzustehen.“
„Hallo und guten Tag. Ich wuchs zum größten Teil bei meiner Oma auf. Sie ist vor Kurzem gestorben. Aber ich werde sie nie vergessen, weil sie mich nach ihrem Vater benannt hat. Sie hat den Holocaust überlebt. Ich bin 1987 geboren. Ich weiß nicht viel über die Geschichte im Jahr 1983. Nur dass Präsident Ronald Reagan den 6. Oktober zum Deutsch-Amerikanischen Tag erklärte, um damit den 300. Jahrestag der Einwanderung Deutscher in die Vereinigten Staaten zu begehen und an ihr kulturelles Erbe zu erinnern. Und dass am 6. August 1987 der Kongress die Resolution S.J. 108 bewilligte, die den 6. Oktober 1987 zum Deutsch-Amerikanischen Tag erklärte. Meines Erachtens spielt Deutschland eine große Rolle, was die Wirtschaft und das Wirtschaftswachstum in Folge des Abschwungs in der gegenwärtigen Krise angeht. Das gilt auch für den Umgang mit den Verhandlungen zum mehrjährigen Finanzrahmen. Außerdem beabsichtigt die deutsche Regierung, „sich für mehr Reziprozität in allen Politikbereichen einzusetzen“ und „gerechtere Wettbewerbsbedingungen zu schaffen“; in Hinblick auf China spielt das auch beim bilateralen Investitionsabkommen eine große Rolle. Auf Grund meines wirtschaftlichen Hintergrunds bin ich mir darüber im Klaren, dass es sich hierbei, wie auch bei zukünftigen Transaktionen und Vernetzungen mit anderen Nationen und unseren Verbündeten, um eine gute Investition handelt ...Vielen Dank im Voraus für die Möglichkeit, mich in diesem Rahmen zu äußern...“
„Für viele Albaner war der Fall des Eisernen Vorhangs der wichtigste Indikator für einen weitgehend stummen Ruf nach Freiheit und dafür, dass Veränderungen auch für uns greifbar und möglich waren. Die Befragung vieler Menschen, die die Zeit erlebt haben und sich lebhaft daran erinnern, zeigt, dass kurz vor dem Fall des Eisernen Vorhangs in Albanien offensichtlich zwei Gefühle vorherrschend waren – nämlich Hoffnung und Angst. Diese beiden Gefühle gehen Hand in Hand, denn Hoffnung kann es nicht ohne Angst geben, wenn man sich Veränderungen vorstellt, darum kämpft bzw. auf Veränderungen reagiert, die wir damals brauchten und noch immer brauchen. Die Rolle Deutschlands in Europa und der Welt ist unbestreitbar von größter Bedeutung. Ich glaube, dass Deutschland dazu beiträgt und auch in Zukunft dazu beitragen kann, die Herbeiführung demokratischer Werte und wirtschaftlicher Freiheiten weiter voranzutreiben, wenn es den Planeten respektiert und sich zu bestimmten Zielen verpflichtet. Die jüngste Geschichte hat gezeigt, dass Deutschland als Garant für die Existenz und das Weiterbestehen der EU dient. Aber ich glaube, dass die unglaubliche Entwicklung, die Ihr Land in Europa und weltweit vorantreiben konnte, kaum möglich gewesen wäre, wenn sich das Land nicht wiedervereint hätte. Gemäß zahlreichen Untersuchungen und nach Auffassung vieler Politikwissenschaftler tragen die Haltung der Menschen in einem Land, ihre Motivation, Gefühlslage, ihr Wohlergehen und ihre Fähigkeit, sich als Teil eines Ganzen zu verstehen, entscheidend zu solchen Errungenschaften bei. Das deutsche Volk hat den schmerzhaften Prozess der Trennung und Teilung durchlaufen, bei dem Familien auseinandergerissen wurden und Netzwerke, Städte und Industrien zerschlagen wurden. Daher sollte Deutschland meines Erachtens die Länder verstehen und unterstützen, die denselben Prozess erlebt haben. Dies gilt zum Beispiel für Albanien, das im Zuge der Londoner Konferenz im Jahr 1912 abgetrennt und aufgeteilt wurde und in der Phase des Kommunismus von der restlichen Welt abgeschnitten war. Das mit dem Kosovo ist eine Tragödie. So ist Albanien noch immer geteilt. Wenn unser Volk jedoch von Wiedervereinigung spricht, wird es als extremistisch bezeichnet. Deshalb glaube ich, dass Deutschland, wenn es wirklich Fortschritte in Europa und in unserer Region herbeiführen will, auch dazu beitragen sollte, dass wir uns mit dem Kosovo und anderen albanischen Gebieten vereinen, in denen Albaner die Mehrheitsbevölkerung ausmachen und die demokratische und gewaltfreie Referenden anstreben, um ihren Anspruch zum Ausdruck zu bringen. Was die dritte Frage betrifft, erwarte ich von den Vereinigten Staaten, Deutschland und Russland, dass sie sich verstärkt mit den Herausforderungen auseinandersetzen, die sich aus den 17 Zielen für eine nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) als drängende Themen ergeben, auch für das Überleben der Welt. Außerdem erwarte ich von diesen Ländern, die sich an die in der Vergangenheit gemeinsam abgeschlossenen Übereinkünfte halten, eine klarere Positionierung gegenüber denjenigen, die gegen die darin verankerten Werte verstoßen – wie z.B. China. “
„Der Zwei-plus-Vier-Vertrag ermöglichte nicht nur die Deutsche Einheit, sondern war wegweisend für die Zukunft Europas. Verschiedene Konflikte waren durch Zugeständnisse innerhalb des Formats beizulegen, um die unmöglich scheinende Wiedervereinigung zu organisieren. Die Basis dafür war die „Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker“ und die Anerkennung des Prinzips der freien Wahlen aller beteiligten Staaten. 30 Jahre später ist immer noch kein Frieden in Europa eingekehrt – zu beobachten in der Ukraine seit 2014. Wo bleiben die Grundsätze heute innerhalb des Normandie-Formats, noch festgeschrieben in der Präambel des historischen Vertrags? Russische Delegierte prahlen mit der Umgehung des Formats bei Verhandlungen über eine Waffenruhe. Douglas MacGregor, nominierter US-Botschafter für Deutschland, setzte sich 2014 für das Referendum in der Ukraine ein, welches keinen internationalen Standards entsprach und gegen dortiges Recht verstieß. Ich erwarte von Staaten heutige Probleme mit denselben Grundsätzen zu lösen, welche sie innerhalb der Zwei-plus-Vier-Verhandlungen an den Tag legten - aufgrund derer sollten wir dem Vertrag Bedeutung zuschreiben. “
„Der durch den Zwei-plus-Vier-Vertrag geebnete Weg zur deutschen Wiedervereinigung stellt eine Zäsur in der europäischen Friedensordnung nach dem Zweiten Weltkrieg dar – bilateral sowie multilateral. Das vereinte Deutschland hat die Verpflichtung, das wirtschaftliche Fundament innerhalb der EU zu stärken sowie die Grundsätze der EU-Charta einzufordern von Staaten wie Polen und Ungarn. Nur so kann der Fortbestand der Demokratie in Europa gewahrt bleiben.“
„Ich heiße Aliya, ich bin Schülerin aus Russland. Die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland haben eine große Anzahl von Stadien durchlaufen und bedeutende Spuren in der Geschichte hinterlassen. Ich denke, deshalb hat der Mauerfall direkt mit der Geschichte meines Landes zu tun. Jetzt können wir sagen, dass die deutsche Wiedervereinigung zu einer irreversiblen Veränderung im Ostblock, zum Ende der «Samtene Revolution» und bald zum Zusammenbruch der UdSSR geführt hat. Die Menschen aus der Sowjetunion waren auch hinter dem Eisernen Vorhang, genau wie die Menschen in Deutschland hatten sie keine Bewegungsfreiheit. Diese Erfahrung unserer Länder hat uns wirklich verbunden. Leider erinnern sich die Menschen im modernen Russland sehr selten an dieses Ereignis der Weltgeschichte. Nur 60 % der russischen Befragten wissen, wer die Berliner Mauer gebaut hat, und 6 % der Befragten, meist junge Menschen im Alter von 18-24 Jahren, haben zum ersten Mal davon gehört ( WZIOM, 2019). Ich hoffe, dass sich die Situation dank internationaler Projekte zu Ehren von 30 Jahren Zwei-plus-Vier-Vertrag in Kürze ändern wird. 30 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung hat sich die Welt völlig verändert, jetzt steht Deutschland in Bezug auf das BIP auf dem 4.Platz der Welt (The World Bank: Gross Domestic Product 2019) und ist das führende Land der Europäischen Union. Deutschland ist in den Top 20 Ländern der Welt im Bereich der Lebensqualität (Economist Intelligence Unit, 2013), und Leute wollen dahin. Was mir persönlich wichtig ist, Deutschland ist der Marktführer in der Müllverwertung in Europa (IW, 2018), das ist genau das Problem, das die russische Regierung nicht beachtet. Ich hätte mir gewünscht, dass Deutschland seine Erfahrungen im Übergang zu einer umweltfreundlicheren Lebensweise vermittelt. Wir können sagen, dass die wirtschaftlich entwickelten Länder ein gewisses Maß an Wohlstand erreicht haben und es ist Zeit, die Aufmerksamkeit auf die Länder in der Umgebung, auf die Umwelt zu lenken. Nur die Vereinigung der Weltmächte wird die Möglichkeit bieten, globale Probleme wie den Klimawandel, den Nord-Süd-Konflikt und viele andere zu lösen. Corona-Krise hat uns gezeigt, dass wir von der Gefahr der Weltskala nur durch die Vereinigung von Anstrengungen gerettet werden können.“
„Nach 30 Jahren sind wir bereit für einen weiteren Neuanfang: Hin zu einer neuen Normalität auf der ganzen Welt. Gerade erleben wir die globale Pandemie. Jedes Land ist von der Krankheit und den daraus resultierenden Verwerfungen und wirtschaftlichen Folgen betroffen. Auch Deutschland, das früher eines der stärksten Mitglieder der Europäischen Union war, ist davon betroffen. Jetzt ist das Land geschwächt und hat nun die Möglichkeit, auf andere Mitglieder der Union und mit ihnen gemeinsam auf andere Länder der Welt zuzugehen. Es besteht ein großes Potential, die Beziehungen zu den USA und Russland auszubauen, die in allen Bereichen unsere Partner sein sollten. Und wenn wir uns der weniger entwickelten Länder annehmen, sollten wir uns bewusstwerden, welche Kraft sie in die Partnerschaft einbringen und wie sehr wir diese brauchen. 2020 müssen wir genauso stark und genauso entschlossen sein wie Deutschland es im Jahr 1990 war. Wir können das schaffen – wenn Deutschland, die EU und ihre vielfältigen Partner die Finger einer Hand bilden, die die Welt zu beispiellosen Höhen anhebt und im Glanz der Sonne erscheinen lässt.“
Bei der „Politikstunde“ der Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) handelt es sich um ein digitales Bildungsformat. Es wurde zu Beginn der Corona bedingten Einschränkungen des öffentlichen Lebens mit dem Ziel initiiert, Schüler/-innen, Studierenden und interessierten Bürgerinnen und Bürgern ein innovatives Bildungsangebot im Schulstundenformat zu bieten. Live und moderiert durch die BpB geben Expertinnen und Experten einen Einblick in ihre jeweiligen bildungspolitischen Themenwelten. Zuschauer/-innen haben die Möglichkeit, im Live-Chat Fragen zu stellen, die unmittelbar in die Politikstunde einfließen.
Am 11. September gestaltete die Kommission gemeinsam mit dem Historiker Dr. Tim Geiger und der Journalistin und Autorin Valerie Schönian eine Ausgabe der Politikstunde zu 30 Jahren Zwei-plus-Vier-Vertrag.
Der 12. September 2020 war auf der EinheitsEXPO, die vom 5. September bis 4. Oktober 2020 in Potsdam stattfand, auf besondere Weise dem Zwei-plus-Vier-Vertrag gewidmet. Auf Infoscreens in der Potsdamer Innenstadt wurde an die Unterzeichnung des Vertrages vor 30 Jahren erinnert. In einem Videoclip erklärten Zeitzeugen und Fachleute die historischen Hintergründe für die Entstehung sowie die Bedeutung des Vertrags für die weitere Entwicklung Deutschlands und Europas. Der Vertrag bildete die Grundlage für die „äußere Einheit“. Damit wurde die internationale Dimension der Deutschen Einheit beleuchtet.
Ein Filmteam hat in Potsdam Eindrücke aufgenommen sowie Statements von Bürgerinnen und Bürgern zum Zwei-plus-Vier-Vertrag sowie zur Zukunft Europas und Deutschlands aufgezeichnet.
Mehr zu den Aktivitäten der Kommission „30 Jahre Friedliche Revolution und Deutsche Einheit“ auf der EinheitsEXPO erfahren Sie hier.