Schon zur Eröffnung am frühen Morgen habe er ein gutes Gefühl, erklärte Harry Mergel, Oberbürgermeister Heilbronns. Er sei sicher: „Wir haben Freunde zu Gast!“ Zusammen mit seinem Amtskollegen René Wilke aus Frankfurt (Oder) begrüßte er am Samstag, 15. Februar 2020, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer von „Deutschland im Gespräch“. Wilke blickte erwartungsvoll auf die folgenden Stunden. „Wir sind neugierig und gespannt auf den Austausch“, sagte er. Auf Einladung der Bundesregierung waren Bürgerinnen und Bürger der beiden Partnerstädte in Heilbronn zusammengekommen, um über die Deutsche Einheit zu diskutieren.
Kommissionsmitglied Dr. Maria Nooke, die Beauftragte des Landes Brandenburg zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur, war mit den Gästen aus Frankfurt (Oder) angereist. Die Veranstaltung in Heilbronn sei ein Beitrag zur Erfüllung des Auftrags der Bundesregierung an die Kommission, Gespräche in Deutschland in Gang zu setzen. Sie freute sich besonders darauf, mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern darüber nachzudenken und zu sprechen, „was uns bewegt, was uns wichtig ist und was wir gemeinsam wollen“.
Kontroverses Einvernehmen
Der Austausch zwischen Ost und West konzentrierte sich am Anfang auf das gegenseitige Kennenlernen. Heilbronner/innen und Frankfurter/innen tauschten sich über ihre persönlichen Erfahrungen und teilweise auch aktiven Rollen in der Entstehung der Städtepartnerschaft im geteilten Deutschland und bei den historischen Vorgängen der Jahre 1989 und 1990 aus. Doch auch für die einfachen und ganz privat prägenden Erfahrungen war Platz. So entdeckte man verbindende Leidenschaften wie das Musizieren und ähnliche ehrenamtliche Engagements. Viel wurde über persönliche Erlebnisse bei Besuchen der Partnerstädte oder des anderen Landesteils gesprochen – vor und nach der Deutschen Einheit.
In Workshops wurde anschließend über die Themen Anerkennung, das Lernen voneinander, den Umgang mit Herausforderungen und die Frage, was gutes Leben bedeutet, diskutiert. Immer wieder wurde festgestellt, dass in Ost und West zwar unterschiedliche soziale Prägungen vorhanden waren, diese aber selten dazu führten, dass die Ansichten zu aktuellen politischen Fragen und Herausforderungen völlig unterschiedliche sind.
Im „Open Space“ entstanden spontane Arbeitsgruppen zu den Themen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Es ging zum Beispiel um die Bedeutung des Begriffs „Heimat“, Formen der Teilhabe an politischen Entscheidungsprozessen oder das Vermitteln und Verstehen (ost-)deutscher Biografien. All das wurde diskutiert, teilweise auch kontrovers. Einig waren sich am Ende alle, dass unterschiedliche Standpunkte kein Problem seien, solange sie besprochen und erklärt werden – nur so könne Verständnis füreinander wachsen. Tenor am Ende des Diskussionsteils: Zwischen Brandenburgern und Württembergern gibt es deutlich mehr Verbindendes als Trennendes.
Die Dialogveranstaltung in Heilbronn in Bildern
Austausch weiterführen
So wurde das gegenseitige Interesse neu oder wieder geweckt. In der Schlussrunde wurde gefragt, wie ein Format aussehen könnte, den mit „Deutschland im Gespräch“ angestoßenen Austausch weiterzuführen. Ein konkreter Impuls zwischen den Städten wurde durch die Einladung der Bundesgartenschaufreunde Heilbronn an die Bürgerinnen und Bürger Frankfurts für den Sommer gesetzt.
Nach einem aktivierenden Nachmittag mit Stadtführung, Museumsbesuch und Besuch des Science Center experimenta klang der Tag mit gemeinsamem Essen, Musik und vielen weiteren Gesprächen aus. Auch ein Überraschungsgast trat auf: Heinrich von Kleist. Der 1777 in Frankfurt (Oder) geborene Dramatiker und Lyriker zeigte sich sehr erfreut, dass er mit seinem Werk „Käthchen von Heilbronn“ einen entscheidenden Impuls zur Städtepartnerschaft geben konnte. Der Tag in Heilbronn habe ihn in der Hoffnung bestärkt, dass das gesamte Land weiter zusammenwachsen werde.
Schülerreporterinnen und -reporter aus Heilbronn und Frankfurt (Oder) begleiteten die Dialogveranstaltung und produzierten eine Reportage. Sie erfuhren von der Zeitzeugin Renate Bauer, wie sie die Gründung des Neuen Forums in Frankfurt (Oder) initiierte, unterhielten sich mit Heilbronnerinnen und Heilbronnern über die vergangenen 30 Jahre und interviewten Kommissionsmitglied Dr. Maria Nooke.
Die nächste Begegnungs- und Dialogveranstaltung fand vom 21. bis 23. Februar 2020 in Flensburg mit Gästen aus Neubrandenburg statt.
Fotos: Karsten Thielker